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Licht und Linie zu Fläche - Lichtgrafiken von Regine Bartholdt

Große Klarheit prägt die Arbeiten von Regine Bartholdt: klare, gelegentlich von farbigen Linien begleitete Farbflächen und klar erkennbare Texturen von Papier oder Stoff strukturieren ihre Bildwelt. Jedoch trügt dieser erste eindeutige Eindruck. Bleibt der Blick an der Bildoberfläche haften, lässt er sich von den malerischen Elementen Farbe, Fläche und Linie irreleiten. So bleibt zunächst verborgen, dass mit den klassischen Mitteln der Malerei keine Gemälde hervorgebracht wurden, sondern die Bilder im fotografischen Prozess entstanden, die Augentäuschung also mit dem Medium erzeugt wird, das gemeinhin als Garant einer „objektiven“ Realitätswiedergabe gilt. Gerade im Changieren zwischen den künstlerischen Gattungen liegt ein Reiz dieser Fotografien!

Regine Bartholdt unterläuft die Erwartungshaltungen des Betrachters, indem sie sich die Freiheit nimmt, mit den bildnerischen Mitteln von Malerei in der Fotografie zu spielen. Stand zunächst das abstrahierende, uminterpretierende Ablichten des menschlichen oder körperhaften Objekts im Vordergrund, das durch Überblendungen und Variation zum Bildzeichen umformuliert wurde, so avancierten schließlich konsequenterweise die technischen Mittel zum eigentlichen Bildgegenstand.

Im dunklen Studio wird die reale Fläche, sei sie aus Papier, Pappe oder Stoff, zum Modell, das durch farbiges Licht verändert und in mehreren Arbeitsgängen mit der analogen Kamera festgehalten wird. Die Besonderheit des Ergebnisses liegt im Zusammenfallen von fotografischer Technik und dem Bildgegenstand. Hier beginnt das unendliche künstlerische Spiel.

"Freiheit ist, gegen den Apparat zu spielen", befand der Philosoph und Kommunikationstheoretiker Vilém Flusser in seinem Essay Für eine Philosophie der Fotografie von 1983. In dieser Aussage findet Regine Bartholdt auch ihre eigene Arbeitsweise charakterisiert. Die Freiheit, die Vilém Flusser für den Fotografen sieht, der sein technisches Werkzeug reflektiert einsetzt, hat sehr weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen. Provozierte schon zu Beginn apparativer Bildproduktion die technische Realitätswiedergabe die Frage nach der Wirklichkeit der Bilder sowie nach gesellschaftlicher Verantwortung, so hat die Frage gegenwärtig in Bezug auf redundante Bilderflut und virtuelle Weltentwürfe eine neue Qualität erreicht. Dabei gewinnt ein solch spielerischer Umgang mit dem bildgebenden Medium sinnstiftendes Potenzial. Die Grundprobleme liegen im Bezugs- und Möglichkeitengeflecht zwischen Bild, Apparat, Programm und Information, die ein experimenteller Fotograf heute austarieren muss, ähnlich wie viele Künstler Anfang des 20. Jahrhunderts nach den Grundlagen einer selbstreferentiellen Kunst suchten. Indem sie, wie Wassily Kandinsky in seinen Bauhaus-Lehrbüchern, die kompositionellen Strukturelemente analysierten oder indem sich Maler wie László Moholoy-Nagy mit fotografischen Möglichkeiten jenseits der Wirklichkeitsabbildung beschäftigten. Schließlich knüpften 1967 die so genannten Konkreten Fotografen an diese Untersuchungen an.

Vor dieser Folie entwickelt Regine Bartholdt seit 1998 ihre zwischen gegenständlicher Abstraktion und abstrakter Gegenständlichkeit angesiedelten Fotografien, die sie Lichtgrafiken nennt und damit ihr Verfahren nüchtern verortet. Allerdings nutzt sie das immaterielle Licht unter umgekehrten Vorzeichen, es wird zur Farbe materialisiert, um der Fotografie malerische Qualitäten zu eröffnen. Dabei hat die Fotografie durchaus Vorteile gegenüber der Malerei, denn die Farbmischungen, die durch Überblendungen und Mehrfachbelichtungen entstehen, sind notwendigerweise stimmig und immer harmonisch. Zudem gestattet das Licht, seinen immateriellen Charakter im Fotoabzug als transparentes Farbfeld zu bewahren, so dass selbst dichte Farbflächen eine Leichtigkeit erhalten.

Auf welche Art und Weise die Wirkungen erzielt wurden, wie auf der Bildfläche eine Tiefenräumlichkeit entsteht, wie real die Größenverhältnisse sind, wie im Wechsel von Licht und Schatten die Komposition in Bewegung gerät und rhythmisiert wird, ist Teil des Spiels mit dem Apparat.

Die unvorhergesehenen Ereignisse auf der Bildfläche laden den Betrachter ein, in die von Regine Bartholdt entworfene Bildwelt einzutreten, zu verweilen und sich mit dechiffrierendem Sehen an diesem Spiel zu beteiligen.

Ursula Köhler